Konzertberichte

“Ihr habt sogar den Samstag abbekommen”

Am Samstag, den 04. Februar 2023 spielte Newcomer und Pandemie-Durchstarter Betterov im Osnabrücker Haus der Jugend vor gut 500 Besucher*innen. Als Support war Rapper Anoki mit dabei.

| Text & Video: Anna Suzuki, Bilder: Caroline Golf

Im ausverkauften Großen Saal des Haus der Jugend wartet das Publikum auf Betterov. Bereits eine halbe Stunde vor Einlass bildete sich draußen eine lange Schlange. Nach Einlass dann die Schlange zur Garderobe und dann die Schlange an der Bar. Und dann noch im Saal stehen und warten, bis es endlich losgeht. Da hat die Osnabrücker Living Proof Agency ein feines Näschen bewiesen und früh den aufstrebenden Indie-Pop-Künstler gebucht. Denn in Zukunft ist wohl nicht zu erwarten, Betterov – der mit bürgerlichem Namen eigentlich Manuel Bittdorf heißt – so schnell wieder in kleinen Clubs spielen zu sehen. Heute jedenfalls soll der 29-jährige Wahl-Berliner im Haus der Jugend spielen und ein Blick durch den Saal verrät bereits, dass kein Boyband-Feeling aufkommen wird. Das Publikum ist sehr gemischt, gleichmäßig auf die Geschlechter aufgeteilt und im Altersbereich von Anfang 20 bis Mitte 60.

Starker Support

Um 20 Uhr geht endlich das Licht aus und Support-Act Anoki betritt die Bühne, um die wartende Meute etwas zu beschwichtigen. Geschickt umgeht der Songwriter aus Berlin die anfänglichen technischen Probleme mit dem Backingtrack, indem er zur Gitarre greift und den ersten Song akustisch zum Besten gibt. Die raue Stimme und ein Zwischending aus Gesang und Rap schweben durch den Saal und vermitteln Singer-Songwriter-Stimmung. Sobald der Laptop aber wieder läuft, wird ein anderer Ton angeschlagen: elektronisch, beatige und vor allem tanzbare Musik erfüllt den Raum. Mit viel Energie präsentiert Anoki seine Songs über Aufbruch, mentale Gesundheit und Rassismus. Nicht nur seine Songs haben oftmals klare politische Statements, auch sein Mikrostativ ziert eine LGBTQ+-Progress-Pride-Flagge.

Insgesamt erfüllt Anoki seinen Job als „Anheizer“ mit Bravour. Seine positive Ausstrahlung und seine offensichtliche Freude am Musikmachen heben die Stimmung des Publikums sichtlich. Auch seine Interaktion mit dem Publikum stößt auf positives Feedback. So kommen viele den Aufforderungen des Sängers nach und singen lauthals die Phrase „ is‘ okay, lass es geh‘n“ mit oder erschaffen gemeinsam ein Sternenmeer aus Handylichtern.

Musikalisch befindet sich Anoki zwischen Rap, Singer-Songwriter, Soul und R&B. Normalerweise wohl mit Band unterwegs ist, es ihm gelungen auch alleine zu überzeugen und mit viel Körpereinsatz die große Bühne komplett einzunehmen.

Textsicheres Publikum

Trotz vierköpfiger Band kann Betterov zunächst nicht an das Energielevel von Anoki anknüpfen. Mit epischem Intro betritt die Band unter tosendem Applaus um 20:40 Uhr die Bühne. Das Publikum ist sichtlich aufgeregt, der Saal jetzt auch bis in die hinterste Reihe gefüllt. Musikalisch drückend, mit metallisch klirrendem Gitarrensound scheint die Band jedoch gelangweilt. Kann aber auch sein, dass ich einfach nicht cool genug bin. In einer Ansage bedankt sich Betterov beim Osnabrücker Publikum: “Wir sind noch nie in Osnabrück gewesen und sind begeistert”. Der Zusatz “… und ihr habt sogar einen Samstag abbekommen” klingt jedoch ein wenig so, als hätten die Musiker selbst ihren Samstagabend gerne in einer größeren Stadt verbracht. Den Fans scheint das egal zu sein. Die Stimmung ist ausgelassen, Sound und Licht passen auch. Von Anfang an wird getanzt und mitgesungen. Und abgesehen von den angestrengten Mienen der Musiker, ist das Konzert auch optisch fantastisch. Ein riesiges Betterov-Banner nimmt die komplette Rückwand der Bühne ein. Die Band komplett in schwarz, Betterov selbst in weiß, viel Nebel, super Lichtshow.

Die ersten vier Songs erklingen im typischen Indie-Pop-Gewand mit verzerrter Gitarre, coolen Schlagzeuggrooves und Basslinien. Der volle, etwas kehlige Gesang, erinnert im positiven Sinne an Fußballgesänge, lässt die Worte jedoch zum Teil verschwimmen, sodass die Texte leider nicht gut zu verstehen sind.

Ab Song fünf legt Betterov die Gitarre ab und setzt sich allein ans Klavier. Es folgen drei Songs in völlig anderem Stil. Humorvoll fängt er mit einer Balladen-Version seines Songs Dussmann an, in dem es über den Untergang der Kultur und den miserablen Zustand der Welt geht. Textsicher übernehmen die knapp 500 Leute die Melodie – Gänsehaut für alle im Saal. 45 Sekunden lang applaudiert das Publikum sich selbst beziehungsweise diesem einmaligen Moment. Das klingt vielleicht nicht nach einer langen Zeit, ist es aber doch. Auch Betterov selbst ist sprachlos und lässt endlich für einen Moment seine coole Fassade fallen. Auch die darauf folgenden zwei Songs werden vom Publikum zelebriert und das Gefühl von Stadiongesängen wird stärker.

Nach kurzer Pause kommt die Band fürs große Finale zurück auf die Bühne. Es scheint, als hätten alle einfach etwas Aufwärmzeit gebraucht, denn jetzt wird auch auf der Bühne getanzt, gepost und sogar gelächelt. Da das Repertoire der jungen Band noch keinen Abend füllen kann, wiederholen sie die Songs, die vorher in ruhiger Piano-Version gespielt wurden. In voller Besetzung erstrahlen die Songs aber wieder in gewohnter Indie-Manier und das Publikum scheint sich nicht an der Wiederholung zu stören. Am Ende des Konzerts verbeugt sich die Band mehrfach vor ihren jubelnden Fans. Offensichtlich gerührt und vom Konzerterlebnis in Osnabrück angetan, hüpfen Betterov in den Backstage – ein offensichtlich erfolgreiches Konzert für Band, Publikum und Veranstalter geht zu Ende.

Mein persönliches Fazit des Abends: Musikalisch bedient Betterov das Indie-Pop-Genre mit sehr Hook-lastigen Songs. Die Strophen jedoch erscheinen recht schnöde und eintönig gegenüber den Melodien der Refrains. Denn diese bleiben auch nach dem Konzert im Kopf. Die musikalische Qualität dahinter und das poetische Talent des Songwriters sind jedoch nicht anzuzweifeln.